Ein bisschen Großfamilien-Romantik schwingt in so manchem Mehrgenerationen-Projekt mit. Ein Anspruch, der schwer umzusetzen ist. Trotzdem kann eine Kultur der Verantwortung gelingen
Eine Gemeinschaft aus Alt und Jung, aus Menschen verschiedener Herkünfte und Kulturen – und alle leben vereint unter einem Dach. So wollten Teresa Majewski und ihr Mann schon immer wohnen. Lange suchten sie in Hamburg nach einem passenden Wohnprojekt. Dann hörte Majewski, 32, von einer Volleyball-Kameradin etwas von einer freien Wohnung im so genannten Pantherhaus. Hinter dem wilden Namen steckt eines der ersten Mehrgenerationen-Häuser der Stadt – gegründet vom Verein „Graue Panther Hamburg“. In den Achtzigerjahren erkämpften die Mitglieder der ehemaligen „Rentner-Partei“ die Sanierung eines verfallenden Hauses auf St. Pauli durch die städtische Wohnungsbaugesellschaft SAGA und gründeten ein gemeinschaftliches Wohnprojekt für junge und alte Menschen.
Die Idee: Jeder Bewohner führt ein selbstständiges Leben und hat eine eigene Wohnung als Rückzugsort. Gleichzeitig unterstützt sich die Hausgemeinschaft, wo sie nur kann. „Uns hat die Mischung aus Solidarität und Freiheit von Anfang an sehr gefallen“, sagt Majewski. „Deshalb haben wir auch keine Minute gezögert, als wir den Zuschlag für die Wohnung bekamen.“ Das war vor vier Jahren. Inzwischen haben sie eine zweijährige Tochter, Lola. Sie lebt als Kleinkind unter Senioren – einige der neun Mieter sind weit über 70 Jahre alt.
Mehrgenerationen-Haus: Sehnsucht nach Großfamilien-Romantik?
Alternative Wohnformen wie Mehrgenerationen-Häuser und Baugemeinschaften erfreuen sich gerade bei jungen Familien wachsender Beliebtheit. Sie verspüren Sehnsucht nach einem großfamiliären Modell: Vater, Mutter, Kinder, Oma und Opa, Tür an Tür. Da die eigenen Eltern oft weit weg leben (und man mit ihnen vielleicht auch gar nicht so eng zusammenwohnen möchte), schaffen sich junge Eltern eigene soziale Netze aus Freunden, Babysittern oder eben Nachbarn. Viele Städte reagieren darauf und schreiben Stellen für Quartiersmanager aus. Ihre Aufgabe: Sie sollen das soziale Miteinander im Kiez stärken und für mehr Nähe sorgen, am besten über Alters- oder Kulturgrenzen hinweg.
Verena Gernert, Stadtsoziologin an der HafenCity Universität Hamburg, spricht von einem starken Anstieg von Projekten. „Es gibt sehr viele Initiativen, die der Nachbarschaft neuen Anschub geben wollen. Gerade junge Familien wollen sich dabei einbringen.“ Gleichzeitig warnt Gernert vor zu großen Erwartungen. Man könne nicht damit rechnen, dass Nachbarn verlässlich die Betreuung von Kindern oder die Pflege von Senioren übernehmen. Solche Aufgaben sieht sie weiterhin in der Verantwortung der Politik: Die müsse die nötigen Krippenplätze schaffen und die Ganztagsschulen ausbauen.
Die Organisation von generationsübergreifenden Projekten ist mühselig – Angebote wie Senioren-Ausflüge oder Krabbelkindgruppen werden deutlich besser angenommen. Der Grundsatz „Gleich und gleich gesellt sich gern“ gilt eben auch für ein urbanes Quartier. Die Kita-Gruppe will nicht ständig im Seniorentreff Kekse backen und selbst Rentner können nicht jede Woche den Nachbarskindern vorlesen. Junge Eltern brauchen vor allem Gleichgesinnte, um sich über Sorgen und Probleme auszutauschen. „Erfolgreich sind vor allem Aktivitäten, die alle Interessen zusammenbringen, zum Beispiel ein Flohmarkt oder ein gemeinsamer Ausflug“, sagt Gernert. Beziehungen, die darüber hinausgehen, müssten eher von sich aus wachsen – sie könne man nur sehr begrenzt von außen organisieren.
Malen mit Uli
Im Pantherhaus wächst vieles aus eigenem Antrieb. Da sind die beiden Senioren, die regelmäßig Geflüchtete bei sich aufnehmen und versuchen, ihnen die Integration zu erleichtern. „Unsere Nachbarn sind sehr engagiert und stolz auf ihr selbstbestimmtes Leben“, sagt Majewski. Einen Lift im Haus einzubauen, haben sie vehement abgelehnt, das Treppensteigen halte sie fit. Auch Angebote, ihnen die Einkäufe in den dritten Stock zu tragen, sorgen im Pantherhaus eher für Irritation. Aber es wird rege geteilt. Zum Beispiel ein Trockner, der allen zur Verfügung steht. Eine der Nachbarinnen fährt regelmäßig zum Discounter und kauft Mineralwasser auch für andere. Majewski und ihr Mann sind für den kleinen Garten hinter dem Haus zuständig. Sie mähen Rasen, harken Laub und schneiden Äste. Im letzten Jahr haben sie einer Nachbarin bei der Renovierung ihres Ferienhauses in Mecklenburg-Vorpommern geholfen; im Gegenzug darf die Familie jetzt dort regelmäßig Urlaub machen.
Auch Lola liebt die Gemeinschaft. Die Nachbarstüren stehen ihr immer offen. Besonders mag sie Uli, einen pensionierten Lehrer und Hobbymaler. Mit ihm malt sie oft stundenlang an bunten, großen Kunstwerken.
Eine gegenseitige Bereicherung
„Das Pantherhaus ist sicher kein Ersatz für eine Großfamilie“, sagt Majewski. „Zum Beispiel bei der Kinderbetreuung verlassen wir uns eher auf die Kita und befreundete Eltern.“ Die meisten ihrer Nachbarn seien viel zu umtriebig, als dass sie ständig Ersatzoma oder -opa spielen könnten. Majewski sieht die Vorteile eines Mehrgenerationen-Hauses auf einer anderen Ebene. „Ältere Bezugspersonen wie Uli sind eine große Bereicherung für meine Tochter. Sie ist jetzt schon im Umgang mit Erwachsenen sehr offen und selbstbewusst“, sagt sie. Lola erlebt, dass sich Menschen täglich gegenseitig unterstützen, wächst im Pantherhaus in einer Kultur der Verantwortung auf. In einer zunehmend individualisierten Gesellschaft ist das wichtiger denn je.
Dieser Beitrag ist zuerst im enorm Magazin (Ausgabe 6/2017) erschienen. Er wurde ermöglicht durch ein „Schöpflin-Stipendium für lösungsorientierten Journalismus”. Die Schöpflin-Stipendien werden von der Noah Foundation gemeinsam mit der Schöpflin Stiftung vergeben.
Dieser Beitrag ist zuerst im enorm Magazin (Ausgabe 6/2017) erschienen. Er wurde ermöglicht durch ein „Schöpflin-Stipendium für lösungsorientierten Journalismus”. Die Schöpflin-Stipendien werden von der Noah Foundation gemeinsam mit der Schöpflin Stiftung vergeben.