Faire Löhne auf der ganzen Welt – das ist das Ziel von „tip me“. Erreichen will das Gründer Jonathan Funke mit einem globalen Trinkgeld, das mit Hilfe einer Blockchain an alle Arbeiter und Farmer verteilt wird
Er gilt als mächtiges Schwert des Verbrauchers – der bewusste Konsum. Doch was einfach gesagt ist, fällt dem einzelnen manchmal schwer. Denn die Ideale bleiben beim alltäglichen Einkauf schon einmal auf der Strecke. Das liegt manchmal am höheren Preis, manchmal auch schlicht am Angebot. So ergab beispielsweise eine Umfrage der Plattform Utopia, das 67 Prozent der Teilnehmer zwar fair einkaufen wollen, jedoch die „modischen und bezahlbaren Alternativen” fehlen würden. Klar ist aber auch: Es gibt mittlerweile viele Fair-Fashion-Labels, die preiswerte Mode anbieten, jedoch sind diese der breiten Masse nicht bekannt.
Was viele nicht wissen: Ein Shirt muss nur 50 Cent mehr kosten, um fair zu sein. Damit diese 50 Cent aber auch ankommen, wo sie hingehören, gibt es jetzt tip me – das globale Trinkgeld. Mit ihm will das Gründerteam nichts weniger, als eine faire Globalisierung – umgesetzt mit einem globalen Trinkgeld für die Produzenten, transparent und fair verteilt mittels einer Blockchain. Das Prinzip: Bei der Bestellung in einem Online-Shop gibt man einfach ein wenig globales Trinkgeld, das direkt ohne Zwischenstationen zu den Menschen fließt, die für das Produkt gearbeitet haben. So kannst Du sichergehen, dass Dein Produkt fair hergestellt wurde, ohne bei Design, Preis oder Auswahl zurückzustecken.
tip me verteilt globales Trinkgeld mit einer Blockchain
Ironischerweise begann die Arbeit für eine faire Globalisierung bei Primark. Vor rund dreieinhalb Jahren, im Sommer 2014, eröffnete Primark direkt am Alexanderplatz seine zweite Filiale in der Hauptstadt. Jonathan Funke war mit Freunden auf einer Gegendemo nicht weit entfernt von den wartenden Massen, die auf die Eröffnung hinfieberten. Er protestierte gegen den blinden Konsum billiger Kleidung. Die Aktivisten versuchten mit Kunst und Musik auf die Problematik hinzuweisen – organisierten sogar einen Kleidertauschmarkt.
Doch kaum einer kam, und so gingen die Demonstranten zu den Primark-Fans und begannen mit ihnen zu reden. „Wir haben sie gefragt, ob sie denn wissen, wie die Kleidungsstücke hergestellt werden und wie viel die Arbeiter verdienen”, sagt Funke heute. Es stellte sich heraus, es fehlte an Informationen, aber auch an Alternativen. „Viele wissen nicht, was sie machen können, wenn sie sich keine faire Jeans für 100 Euro leisten können”, sagt Funke. Die Demonstranten hatten einen Flyer mitgebracht. Auf diesem stand: „1% von dem was Du bezahlst, verdienen die Arbeiter”. Ausgehend davon stand auf einmal die Idee im Raum: Kann man dann nicht einfach ein Prozent mehr für die Kleidung zahlen, um die Löhne zu verdoppeln. „Ich weiß gar nicht mehr so genau, ob wir oder sogar einer der Primark-Kunden auf den Gedanken kam”, sagt Funke rückblickend. Fest steht jedoch: Die Idee ließ ihn nicht mehr los und er schrieb als erstes eine Seminararbeit darüber.
Über den Erfinder der Hartz-IV-Möbel und Karma-Chakhs-Gründer Van Bo Le-Mentzel lernte Funke Social Impact kennen, eine Agentur für soziale Innovationen, die angehende Gründer fördert. Beide waren begeistert von dem Gedanken, den Menschen in den Produktionsländern und entlang der Lieferkette einfach und sinnvoll zu helfen. Der Moment, an dem Jonathan Funke jedoch wusste, dass es keinen Weg mehr zurück gab, war jedoch ein anderer. Nach seinem Auftritt auf dem Z2X-Festival 2016 für neue Visionäre von „Zeit online”, das ihn zu den Gewinnern kürte, bekam er einen Anruf von seiner Mutter. „Ein tolles Video, hat sie zu mir gesagt”, erzählt Funke. „Ich wusste erst gar nicht, was sie meinte. Aber dann sah ich, dass sich den Auftritt über 70.000 Menschen angesehen hatten.”
Unterstützung durch Social Impact
Seit dem arbeitet Funke kontinuierlich unter anderem unterstützt durch das Startery-Stipendium von Social Impact an der Umsetzung seiner Vision. „Lange habe ich jedoch gedacht, das Ganze ist nicht realisierbar”, sagt Funke. Doch dann stieß er auf das Prinzip der Blockchain.
Der Code soll das zentrale Element des globalen Trinkgelds werden. In der Blockchain werden alle Informationen der Produktions- und Lieferkette für die Produkte gespeichert. Diese können dann in Echtzeit mit der realen Produktion abgeglichen und vor allem auch validiert werden. „Damit kann kontrolliert werden, ob die Schritte der Produktion, die offiziell angegeben sind auch wirklich passieren”, erklärt Funke. So gäbe es beispielsweise bei einem T-Shirt die Informationen, wie viel Baumwolle benötigt wird, wie viel Garn und wie viele Arbeitsstunden. Diese Schritte werden von den Zulieferern und Arbeitern bestätigt. So fällt beispielsweise auf, wenn statt Bio-Baumwolle Fasern aus herkömmlicher Produktion verwendet werden.
Blockchain als Schlüssel zur Transparenz
Ebenfalls in der Blockchain: die Informationen über die Geldflüsse und damit auch die Höhe des Trinkgeldes. „Auf der Kette speichern wir auch, wer wie viel Geld bekommt, und ob das Geld und die richtige Menge angekommen ist”, sagt Funke. Die Empfänger können zudem hochladen, was sie mit dem Geld gemacht haben. In der Praxis schickt tip me das Geld direkt auf das Handy der Produzenten. „Wir wollen so wenig Zwischenstationen wie möglich, da das die Möglichkeit der Korruption reduziert”, sagt Funke. Mit dem Geld kann dann getan werden, was man möchte. „Wir wollen den Menschen vertrauen, dass sie wissen, wofür sie das Geld verwenden wollen. Ein Feierabendbier ist auch in Ordnung. Deswegen heißt es ja Trinkgeld.” Die Wissenschaft gibt dem Gründerteam dabei recht: Untersuchungen der Princeton University fanden heraus, dass „Bedingungslose Cash-transfers” keine nennenswerten Auswirkungen auf Tabakkonsum, Alkohol oder Glücksspiel haben.
Die ganze Idee steht und fällt jedoch mit der Transparenz der Lieferkette – eine Herausforderung, an der derzeit noch viele Konzerne scheitern. Das Londoner Unternehmen Provenance hat sich mittels der Blockchain genau darauf spezialisiert, alle Stationen aufzudecken. Funke und sein Team streben deshalb eine Partnerschaft mit den Experten aus England an.
Das Trinkgeld belohnt Arbeiter für ihre Mithilfe zur Transparenz
Zudem sieht er das globale Trinkgeld als einen Hebel für Transparenz. „Wenn ich als Produzent eine Belohnung dafür bekomme, dass ich die Informationen hochlade, dann bin ich natürlich motivierter, als wenn ich nicht davon profitiere”, so Funke. Dennoch bleibt der Aufwand hoch. Denn allein ein normales T-Shirt durchläuft rund 140 Stationen, bis es in den Lagern der Händler liegt. Natürlich könne die Technologie nicht alle Probleme lösen. „Wir sind immer noch darauf angewiesen, dass Menschen vor Ort die Informationen hochladen. Wir machen aber einen Schritt in Richtung Transparenz. Ich würde davon abraten, Leuten zu vertrauen, die sagen, ihr System sei unfälschbar. Wir wollen jedoch die Hürde zum Betrug – sprich die Menschen zu hintergehen, die mit ihrem Konsum versuchen, einen Unterschied zu machen – deutlich höher machen”, sagt Funke.
Auch wenn die Prozesse im Hintergrund kompliziert sind, für den Kunden und Shops wollen Funke und sein Team das Ganze einfach halten. „Ich weiß, dass man es als Kunde beim Einkauf bequem haben möchte und nicht viele Umstände. Ähnliches gilt für die Shop-Betreiber – Gutes zu tun, muss einfach sein”, sagt Funke.
Nutzung für Kunden und Shop-Betreiber soll einfach bleiben
Die Partnershops müssen deshalb lediglich ein paar Zeilen Code in ihre Website integrieren, damit das tip-me-Plugin funktioniert. Dann sieht der Kunde vor dem Bezahlen, wer das Produkt hergestellt, welche Reise es es hinter sich hat, wohin das Trinkgeld geht und wie sichergestellt wird, dass es wirklich ankommt.
Was im Gegensatz dazu noch nicht feststeht, ist die Verteilung des Trinkgelds. „Wir sind im Team noch nicht sicher, ob das Trinkgeld automatisch in gleichen Teilen an alle an der Lieferkette beteiligten Arbeiter geht, oder ob der Kunde sich bestimmte Stationen aussuchen sollte”, sagt Funke. Beides habe Vorteile. Bei der einen Variante könne man gezielt an Teilen der Produktionskette helfen, bei denen große Ungerechtigkeit herrsche. Bei der anderen sei es für alle Beteiligten natürlich fairer. Zudem sei es transparenter, da die gesamte Reise des Produktes abgebildet wäre und alle für ihre Transparenz belohnt würden.
tip me startet 2018 erstes Pilotprojekt
Noch ist jedoch kein Cent an globalen Trinkgeld geflossen. „Das Ziel für 2018 ist ein Pilotprojekt mit einer großen Supermarktkette”, sagt Funke. Dabei geht es zunächst erst einmal um Lebensmittel. „Aktuell trauen wir uns Textilien und Lebensmittel zu. Aber theoretisch ist es auch technisch möglich, es auf andere Branchen auszudehnen.”
Finanziert werden soll tip me langfristig von den Gebühren, die Partnershops für die Teilnahme zahlen müssen. Denn diese soll prinzipiell wie eine Siegel oder Auszeichnung funktionieren, mit der die Unternehmen für sich werben können. Vom Trinkgeld selbst soll alles an die Produzenten fließen. Das hat zudem den Vorteil, dass es steuerrechtlich als Spende gilt und damit von der Umsatzsteuer befreit ist.
Einfaches Greenwashing für Konzerne?
Doch ist es wirklich möglich mit einem Trinkgeld die Globalisierung fair zu gestalten? Entlässt die Idee nicht sogar die Konzerne aus ihrer Verantwortlichkeit, für faire Löhne zu sorgen? Funke und sein Team vergleichen ihre Arbeit mit den freiwilligen Seenotrettern von „Jugend rettet”, die im Mittelmeer Flüchtlinge vor dem Ertrinken bewahren. Natürlich könnte man ihnen vorwerfen, dass es vielleicht sinnvoller wäre, mit staatlichen Behörden zu diskutieren oder Anträge zu schreiben.
Aber: „Mit jedem Tag unserer Arbeit machen wir mehr Menschen aufmerksam auf die Missstände unserer Zeit. Und machen ihnen Hoffnung, dass es Lösungen gibt. Wir können schon jetzt und hier das Leben der Menschen verbessern ohne auf die Erlaubnis vor irgendjemandem zu warten”, schreibt tip me auf der eigenen Website.
Zudem arbeitet das Start-up an der Formulierung eines Code of Conduct. Zum einen sollen sich die Firmen darin verpflichten, an der Transparenz mitzuarbeiten. Zum anderen sollen sie kontinuierlich ihre Löhne auf ein faires Niveau anheben. So wollen Funke und sein Team sich eines Tages selbst abschaffen. „Wir wollen mit tip me eine Welt schaffen, in der es tip me nicht mehr braucht.”
Im Zentrum steht der Kunde
In den letzen Jahrzehnten ist das Bewusstsein der Kunden für faire Produktion enorm angestiegen. Das zeigen unter anderem die Wachstumsraten bei den mit dem Fairtrade-Siegel gekennzeichneten Produkten. Wichtig sei es, so Jonathan Funke, dass der gute Wille auch ohne Reibungsverluste oder bürokratische Abläufe direkt bei Farmern und Arbeitern ankommt. „Wir sehen eine wachsende soziale Bewegung von informierten und aktiven Kunden, die mit ihrem Einkauf einen Unterschied machen wollen. Sie haben es verdient, dass jeder Cent, den sie mehr geben, auch ankommt. Technologisch ist das möglich. Sozial ist das dringend nötig. Worauf warten wir noch?”